Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – BFSG)
Das BFSG setzt die EU-Richtlinie 2019/882 (EAA) in deutsches Recht um und ist grundsätzlich anwendbar auf:
• Wirtschaftsakteure, die Produkte und Dienstleistungen auf dem Markt bereitstellen (§ 1 Abs. 1 BFSG)
• Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 für Verbraucher erbracht werden (§ 37 Abs. 1 BFSG)
Anwendbarkeit auf private Arztpraxen / Medizinische Versorgungszentren
Besonderheit für private Arztpraxen / Medizinische Versorgungszentren: Diese fallen als Wirtschaftsakteure unter das BFSG, wenn sie Dienstleistungen für Verbraucher (Patienten) erbringen. Die Webseite einer privaten Arztpraxen / eines Medizinische Versorgungszentrum mit interaktiven Elementen wie Online-Terminvereinbarung und Patientenportal ist als “Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr” gemäß § 3 Nr. 6 BFSG einzustufen. Daher unterliegt diese den Barrierefreiheitsanforderungen des BFSG.
Produkte, die ein Wirtschaftsakteur auf dem Markt bereitstellt und Dienstleistungen, die er anbietet oder erbringt, müssen barrierefrei sein.
Dies gilt nicht für Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen anbieten oder erbringen.
Kleinstunternehmen“ ist ein Unternehmen, das weniger als zehn Personen beschäftigt und das entweder einen Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro erzielt oder dessen Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 2 Millionen Euro beläuft;
„kleine und mittlere Unternehmen“ sind Unternehmen, die weniger als 250 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Millionen Euro beläuft, mit Ausnahme von Kleinstunternehmen;
Umsetzungsfristen und Übergangsregelungen
Zentrale Umsetzungsfrist
Die Dienstleistungen müssen ab dem 28. Juni 2025 den Barrierefreiheitsanforderungen entsprechen (§ 37 Abs. 1 BFSG).
Ausnahme für bestehende Verträge / Dienstleistungen
Dienstleistungsverträge, die vor dem 28. Juni 2025 geschlossen wurden, können bis spätestens 28. Juni 2030 weiter erbracht werden, ohne die Barrierefreiheitsanforderungen zu erfüllen (§ 37 Abs. 2 BFSG).
Ausnahmen und Härtefallregelungen
1. Unverhältnismäßige Belastung
Nach § 16 BFSG sind Wirtschaftsakteure von den Barrierefreiheitsanforderungen ausgenommen, wenn diese eine unverhältnismäßige Belastung darstellen würden. Bei der Beurteilung sind zu berücksichtigen:
• Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen für den Wirtschaftsakteur
• Geschätzte Kosten und Vorteile im Verhältnis zu den geschätzten Vorteilen für Menschen mit Behinderungen
• Nutzungshäufigkeit und Nutzungsdauer der Produkte/Dienstleistungen
2. Vorgehen bei Berufung auf Ausnahmen
Um sich auf eine unverhältnismäßige Belastung berufen zu können, muss die private Arztpraxen / das Medizinische Versorgungszentrum:
• Eine Selbstbewertung durchführen und dokumentieren (§ 17 BFSG)
• Die Bewertung auf Verlangen der Marktüberwachungsbehörde vorlegen können
• Die Bewertung alle fünf Jahre aktualisieren
Rechtliche Konsequenzen bei Nichteinhaltung
1. Marktüberwachung und Kontrolle
Die Überwachung erfolgt durch die von den Bundesländern bestimmten Marktüberwachungsbehörden (§ 21 BFSG). Diese können:
• Auskünfte und Unterlagen verlangen
• Geschäftsräume betreten und prüfen
• Zugang zu Schnittstellen verlangen
2. Sanktionen
Bei Verstößen drohen:
• Anordnungen zur Beseitigung der Mängel
• Untersagung des Angebots der Dienstleistung
• Bußgelder bis zu 100.000 EUR (§ 30 BFSG)
• Zivilrechtliche Ansprüche von Betroffenen
3. Reputationsrisiken
Über die rechtlichen Konsequenzen hinaus bestehen erhebliche Reputationsrisiken:
• Kritik von Patientenorganisationen
• Negative Berichterstattung
• Verlust von Patienten an barrierefreie Konkurrenzangebote
Empfehlung: Dennoch ist anzuraten, die Webseite von Anfang an barrierefrei zu gestalten oder zeitnah umzugestalten, um:
• Kostspielige spätere Umstrukturierungen zu vermeiden
• Eine frühzeitige Positionierung als patientenfreundliche Einrichtung zu erreichen
• Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen privaten Gesundheitsanbietern zu erzielen Harald Wostry